EN | DE

Im Nanotransporter zum Wirkort

Neuartige Vehikel steigern die Effizienz von Antibiotika gegen chronische Infektionen

Saarbrücken, 17. April 2020 - Wissenschaftler vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) haben eine Strategie entwickelt, antibakterielle Wirkstoffe so zu verabreichen, dass sie um ein Vielfaches wirksamer sind. Ihre Ergebnisse versprechen Hoffnung im Kampf gegen Krankenhausinfektionen und Antibiotikaresistenzen. Die Studie erscheint in der internationalen Ausgabe des Journals Angewandte Chemie. Das HIPS ist ein Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Universität des Saarlandes.

Derzeit schaut die Welt wie gebannt auf die pharmazeutische Forschung, die uns von der Last des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 befreien soll. Neben der Suche nach einem Impfstoff ist die Weiterentwicklung anderer Medikamente gerade jetzt und weit über die Krise hinaus von entscheidender Bedeutung. Viele der besonders schwer an COVID-19 Erkrankten müssen beispielsweise mit Antibiotika behandelt werden, weil eine chronische Vorerkrankung oder eine Superinfektion mit Bakterien die Lunge belastet und den Verlauf der Erkrankung drastisch verschlimmert. Die Behandlung dieser Patienten wird durch immer neu auftretende Resistenzen der Keime gegen Antibiotika erschwert. Ein typischer Besiedler der Lunge ist Pseudomonas aeruginosa. Das Bakterium ist bekannt dafür, Krankenhausinfektionen zu verursachen und Menschen mit Mukoviszidose das Leben schwer zu machen. Er bildet in befallenen Geweben eine Schutzschicht aus komplexen, langkettigen Molekülen. Dieser Biofilm bildet, zum Leid der Patienten, eine Barriere gegen Antibiotika.

Biologische Barrieren erforscht Prof. Claus-Michael Lehr seit Jahrzehnten. „Die Darmwand, die Haut, die Luft-Blut-Schranke in der Lunge oder eben Biofilme: Sie alle stellen sich dem Wirkstoff in den Weg“, sagt der Leiter der Abteilung „Wirkstoff-Transport“ am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS). „Um den Wirkort zu erreichen, brauchen Medikamente ein geeignetes Vehikel, das auf den spezifischen Wirkstoff und die jeweilige Barriere ausgelegt ist.“

In Zusammenarbeit mit dem französischen Pharmazeuten Patrick Couvreur in Paris stellte Lehrs Doktorand Duy-Khiet Ho spezielle Nanopartikel her, die Antibiotika in den von Pseudomonaden gebildeten Biofilm transportieren sollten. Er synthetisierte dafür eine neuartige Substanz. Die Moleküle dieser Substanz und die daraus gebildeten Nanopartikel sind amphiphil, lösen sich also sowohl in Wasser als auch in Fett.

Unter dem Mikroskop konnten die Wissenschaftler beobachten, wie die Partikel in eine gezüchtete Schicht aus bakteriellem Biofilm ein- und diese sogar durchdringen. Verpackten sie das Antibiotikum Tobramycin, üblicherweise zur Bekämpfung von Pseudomonas aeruginosa-Infektionen eingesetzt, in die Nanopartikel, sahen sie jedoch keine erhöhte Wirkung gegen die Keime im Biofilm. Den Grund dafür erklärt Dr. Brigitta Loretz, die das Verfahren gemeinsam mit Lehr entwickelt hat: „Im Biofilm fahren die Bakterien ihren Stoffwechsel herunter. Das Antibiotikum, das eigentlich die Proteinproduktion blockiert, kann daher keine große Wirkung zeigen.“ Wirft man einen Stock in ein Getriebe, das ohnehin stillsteht, erzielt man damit eben auch keinen Bremseffekt. Deshalb machten sich die Forscher einen weiteren Angriffspunkt der Keime zu Nutze: das Quorum Sensing. Es bezeichnet den Mechanismus, mit dem Bakterien feststellen, ob sie eine bestimmte Besiedlungsdichte erreicht haben. Erst dann macht es für sie Sinn, einen Biofilm zu bilden. Das Quorum Sensing reguliert unter anderem die Herstellung der Polymere zum Aufbau des Biofilms. Prof. Rolf Hartmann und Dr. Martin Empting erforschen in der benachbarten Abteilung „Wirkstoffdesign“ am HIPS neuartige Substanzen, die einen wichtigen Schalter dieses Mechanismus umlegen können. Lehr nutzte eine dieser Substanzen: Er belud seine Nanopartikel zusätzlich zum Antibiotikum Tobramycin mit dem Quorum Sensing-Hemmstoff QSI(1). Behandelte er seine Biofilm-Kulturen mit den doppelt beladenen Partikeln, reichte ein Bruchteil der Antibiotikum-Konzentration, um die Bakterien abzutöten und den Biofilm aufzulösen. „Wir schalten das Quorum Sensing direkt im Biofilm ab“, sagt Loretz. „Die Bakterien fahren ihren Stoffwechsel hoch und das Antibiotikum wirkt.“

Medizinisch ist es von immenser Bedeutung, mithilfe geringer Konzentrationen von Antibiotika Infektionen gezielt therapieren zu können. „So verhindern wir, dass Bakterien Resistenzen gegen die Wirkstoffe ausbilden“, erklärt Loretz.

„Wir haben eine erste Generation anti-infektiver Nanocarrier hergestellt“, sagt Lehr, der die neuartigen Nanopartikel nun weiterentwickelt. In ihren gezüchteten Biofilm-Kulturen können er und seine Kollegen nicht nur die Partikel beobachten. Sie können auch genau messen, wieviel der Wirksubstanzen in den Biofilm eingedrungen ist. „Das ist ein deutlicher Vorteil gegenüber Tests in Versuchstieren“, sagt er. Seine Strategie ist es, möglichst viele Parameter einer neuen Wirksubstanz „im Reagenzglas“ zu untersuchen. Dafür entwickelt der leidenschaftliche Tüftler komplexe Modelle, vorzugsweise aus menschlichen Zellen, die möglichst detailliert die Bedingungen im Körper widerspiegeln. „Das ist wie ein Baukastensystem“, sagt er. „In vitro kann ich zum Beispiel verschiedene Zellen in unterschiedlichen Kombinationen kultivieren, um die Rolle jedes einzelnen Zelltyps zu verstehen.“ Erst kürzlich veröffentlichten Lehr und seine Kollegen das erste Protokoll für ein dreidimensionales Zellkultur-Modell von Atemwegsinfektionen, in dem er Schleimhaut- und Abwehrzellen gemeinsam mit biofilmbildenden Bakterien züchtet. In einem solchen Modell können gleichzeitig verschiedene Entzündungsparameter beobachtet und Antibiotika getestet werden. Tierversuche brauche es nach ausführlichen in vitro-Studien nur zur Bestätigung, meint er. Sein Ziel ist es, neue Wirkstoffe möglichst schnell im Menschen zu testen. „Schließlich wollen wir ja keine Mäuse heilen“, sagt er.

Patrick Couvreur und Claus-Michael Lehr sind Projektverantwortliche Wissenschaftler im europäischen NABBA-Projekt: Design and Development of advanced NAnomedicines to overcome Biological BArriers and to treat severe diseases. Die Entwicklung des Inhibitors QSI(1) wurde vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung gefördert.

ORIGINALPUBLIKATION:

Duy-Khiet Ho, Xabier Murgia, Chiara De Rossi, Rebekka Christmann, Antonio G. Hüfner de Mello Martins, Marcus Koch, Anastasia Andreas, Jennifer Herrmann, Rolf Müller, Martin Empting, Rolf W. Hartmann, Didier Desmaele, Brigitta Loretz, Patrick Couvreru, Claus-Michael Lehr: Squalenyl Hydrogen Sulfate Nanoparticles for Simultaneous Delivery of Tobramycin and Alkylquinolone Quorum Sensing Inhibitor to Eradicate P. aeruginosa Biofilm Infections. Angew. Chem. Int. Ed. 2020; doi: 10.1002/anie.202001407

ZUM ARTIKEL


Weitere News