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Arbeitsablauf zur Produktion von Sandarazol A

Spannende Naturstoffe aus seltenen Myxobakterien

Wissenschaftler der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe entdecken eine neue Klasse an Naturstoffen in einem ungewöhnlichen Vertreter der Myxobakterien

Saarbrücken, 18. Februar 2021 - Als Wissenschaftler aus der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe (Prof. Rolf Müller) sind Dr. Fabian Panter und Chantal Bader ständig auf der Suche nach neuen bioaktiven Naturstoffen. Dabei sind sie jetzt auf die bislang unbekannte Klasse der Sandarazole gestoßen. Ihre Ergebnisse konnten sie jetzt in der Zeitschrift Angewandte Chemie International Edition publizieren. Worum es sich bei den Sandarazolen handelt und warum diese Entdeckung so eigentlich nicht geplant war, erzählen sie hier im Interview.

Im Paper beschreibt ihr eine neue Klasse mikrobieller Naturstoffe, die als „kryptisch“ bezeichnet werden – was ist damit gemeint?
Fabian: Das Wort kryptisch ist im Zusammenhang mit Naturstoffen nicht als „mysteriös oder rätselhaft“ zu verstehen, sondern wird verwendet, wenn man ein bestimmtes Gencluster kennt, diesem aber kein Produkt zuordnen kann. Dies kann verschiedene Gründe haben, z.B. können die entsprechenden Biosynthesegene, die für die Produktion des gewünschten Naturstoffes verantwortlich sind, herunterreguliert sein. Um solche kryptischen Biosynthesegene anzuregen ihren zugehörigen Naturstoff, in unserem Fall die Sandarazole, doch zu produzieren gibt es verschiedene Möglichkeiten, die von genetischer Manipulation bis hin zur gleichzeitigen Kultivierung mehrerer Bakterienstämme reichen können. In unserem Fall haben wir uns für einen sogenannten Promotoraustausch entschieden, d.h. Gensequenzen des Bakteriums werden so verändert, dass die entsprechenden Biosynthesegene nicht länger herunterreguliert werden und somit das gewünschte Produkt hergestellt werden kann. 

Wie ist es euch gelungen, das Plasmid mit dem Bauplan für die Sandarazole zu finden?
Fabian: Das war mehr oder minder ein Zufall oder wie man es in der Wissenschaft nennt „Serendipity“. Eigentlich waren wir dabei die Biosynthese eines ganz anderen Naturstoffes aus dem Sandarazol-Produzenten zu untersuchen, wozu wir das Genom dieses Bakteriumstammes sequenziert haben. Dabei fiel uns auf, dass Teile der DNA Sequenz doppelt so oft erfasst wurden wie andere Teile, was dadurch zustande kommt, dass das Plasmid im Gegensatz zu chromosomaler DNA zwei Kopien pro Bakterienzelle aufweist. So konnten wir zuordnen welche Sequenzen zum Bakterienchromosom, und welche zum Plasmid gehören.

Wie habt ihr es geschafft, an die Sandarazole ran zu kommen? Welche Vorteile hat diese Vorgehensweise?
Fabian: Bei näherer Begutachtung des Plasmids fiel uns auf, dass dieses ein Biosynthesegencluster enthält. Wie bereits erwähnt ist das Sandarazol Biosynthesegencluster jedoch kryptisch, d.h. die Sandarazole werden unter Laborbedingungen nicht produziert. Daher haben wir einen anderen Promotor vor das Biosynthesegencluster kloniert und ihn damit genetisch aktiviert. So erhielten wir eine Variante des Bakteriums, die im Gegensatz zum ursprünglichen Stamm große Mengen der Sandarazole produziert. Wenn man zudem noch einen induzierbaren Promotor benutzt wie den Vanillatpromotor, kann man die Produktion gezielt ein- und ausschalten und somit die Sandarazolproduktion regulieren. Dies ist wichtig wenn Sekundärmetabolite wie die Sandarazole für den Produzenten selbst toxisch sind.

Bei dem natürlichen Produzenten handelt es sich um einen ungewöhnlichen Vertreter der Myxobakterien. Macht es bei der Suche nach neuen Naturstoffen einen Unterschied, ob es sich um gewöhnliche oder ungewöhnliche Bakterien handelt?
Chantal: Tendenziell sind Biosynthesegencluster nicht zufällig über Bakterienstämme verteilt, sondern verteilen sich auch nach Phylogenie. Je weniger eng zwei Bakterienstämme miteinander verwandt sind, desto stärker unterscheiden sich in der Regel auch deren Biosynthesegencluster. Um neue Biosynthesegencluster und damit neue biologisch aktive Naturstoffe zu finden ist es daher immer von Vorteil auch die weniger untersuchten Bakterienstämme zu untersuchen. Hier hat man eine größere Chance neue interessante Moleküle zu finden. Dies ist auch eine wichtige Grundlage für die Arbeit in unserer Forschungsgruppe am HIPS. Wir arbeiten kontinuierlich daran neue Myxobakterienstämme, wie den im Paper beschriebenen Sandaracinus, zu isolieren, die wir dann hinsichtlich der Produktion neuer Naturstoffe untersuchen.

Was ist das besondere an den Sandarazolen und deren Biosynthese? Was unterscheidet sie von anderen myxobakteriellen Naturstoffen?
Chantal: Die Sandarazole werden durch eine ganze Reihe von sehr ungewöhnlichen Biosyntheseschritten produziert, was sich auch in ihrer interessanten chemischen Struktur widerspiegelt. Sie besitzen unter anderem ein sehr reaktives Epoxid und beinhalten eine Aminosäure, die bisher noch nicht in der Natur beobachtet wurde. Zudem sind einige der Sandarazole chloriert. Durch diese ungewöhnlichen funktionellen Gruppen sind diese Moleküle sehr reaktiv, was sich z.B. darin äußert, dass die Sandarazole sehr empfindlich auf Luftsauerstoff reagieren.

Hatte diese Eigenschaft Auswirkungen auf die Handhabung der Sandarazole im Labor?
Fabian: Im Vergleich zu anderen Substanzen war die Aufreinigung der Sandarazole für uns eine größere Herausforderung, da jeder einzelne Schritt unter Ausschluss von Luftsauerstoff durchgeführt werden musste. Dazu wurden Sammelgefäße, in denen die Sandarazole bei der Chromatographie gesammelt wurden, permanent mit Stickstoffgas durchströmt. Außerdem kam eine unkonventionelle Chromatographietechnik die sich centrifugal partitioning chromatography (CPC) nennt zum Einsatz, um die Sandarazole voneinander und von Verunreinigungen zu trennen. CPC ist komplementär zu klassischen Techniken wie RP-HPLC, was eine Auftrennung in einer zweiten Dimension und somit eine effizientere Aufreinigung der Sandarazole ermöglicht.
 
Wofür könnten die neu entdeckten Sandarazole potentiell genutzt werden? Was müsste vor einer Anwendung noch getan werden? 
Chantal: Die chlorierten Sandarazole zeigen gute antiproliferative Aktivitäten in Krebszellassays. Sollte dieser Aktivität ein selektiver Wirkmechanismus zugrunde liegen, könnten Sandarazole potentiell in der Krebstherapie zum Einsatz kommen. Allerdings muss man zuvor versuchen ein stabileres Derivat der Sandarazole, beispielsweise per chemischer Modifizierung ihrer empfindlichen Teilstrukturen, zu erzeugen. Hier wäre es natürlich auch möglich, dass wir weitere interessante Aktivitäten bei stabileren Derivaten entdecken, da die von uns durchgeführten Tests nicht komplett unter Luftausschluss durchgeführt werden konnten. Somit ist vermutlich ein nicht unerheblicher Teil der Sandarazole bereits während der Tests zerfallen. Besonders hinsichtlich einer potenziellen Entwicklung als Arzneimittel ist die Stabilität ein sehr wichtiger Punkt, da es schwierig (und sehr teuer) ist Arzneimittel unter komplettem Ausschluss von Luftsauerstoff zu produzieren, lagern und schließlich dem Patienten zu verabreichen.

Originalpublikation:

Fabian Panter, Chantal D. Bader, and Rolf Müller: The sandarazols are cryptic and structurally unique plasmid encoded toxins from a rare myxobacterium. Angewandte Chemie International Edition, 2021. doi: 10.1002/anie.202014671

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Das Interview führte Dr. Yannic Nonnenmacher


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