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Chemische Struktur von Thioholgamide

Biosynthese im Reagenzglas

Forschende am HIPS klären den Thioholgamid-Biosyntheseweg auf

Saarbrücken, 22. März 2022 – Wissenschaftler:innen der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe haben den Biosyntheseweg von Thioholgamiden aufgeklärt. Diese Peptide zeigen eine starke Aktivität gegen verschiedene Krebszelllinien. Die in vitro Rekonstruktion des Biosynthesewegs dieser Substanzklasse öffnet die Tür für die Entwicklung von Peptiden mit optimierten Eigenschaften. Ihre Arbeit wurde kürzlich im Journal of the American Chemical Society veröffentlicht. Im Interview erzählt Asfandyar Sikandar mehr über seine Arbeit.

In eurer Arbeit habt ihr die Bioynthese von Thioholgamiden, die zu den so genannten "RiPPs" zählen, aufgeklärt. Was sind RiPPs und was ist die biologische Funktion dieser Thioholgamide?
Ribosomal synthetisierte und posttranslational modifizierte Peptide (RiPPs) sind eine große Gruppe von Naturstoffen mit einer bemerkenswerten strukturellen und funktionellen Vielfalt. Das Biosynthesesystem von RiPPs umfasst in der Regel ein kurzes Vorläuferpeptid - bestehend aus einem Leader- und einem Kernmotiv - sowie in der unmittelbaren Nähe befindliche Enzyme, die den Leader erkennen und den Kern chemisch verändern, um so das fertige Peptidskelett zu erzeugen. Thioholgamide sind eine Untergruppe von RiPPs, die bei mehreren Krebszelllinien eine starke antiproliferative und pro-apoptotische Wirkung zeigen. Trotz der vielversprechenden Wirkung gegen Krebszellen fehlte uns ein umfassendes Verständnis ihrer Biosynthese, was sie zu einem sehr spannenden Forschungsprojekt für uns machte.  

Wie habt ihr die Biosynthesewege rekonstruiert? Welchen Vorteil können wir aus einem detaillierten Verständnis dieses Prozesses ziehen?
Seit ihrer Identifizierung Ende der 2000er Jahre haben Arbeiten am HIPS und in Laboren auf der ganzen Welt die Teile des Biosynthese-Puzzles zusammengesetzt. Der größte Knackpunkt bei der Rekonstruktion des gesamten Synthesewegs im Reagenzglas war jedoch die Verfügbarkeit aktiver und korrekt gefalteter, synthesespezifischer Enzyme. Nachdem wir herausgefunden hatten, wie wir diese Hürde überwinden konnten, war es relativ einfach, den gesamten Biosyntheseweg zu rekonstruieren. Diese Arbeit hat es uns ermöglicht, Unklarheiten zu beseitigen und Ungenauigkeiten zu korrigieren, die in früheren in vivo Studien bestanden - kurz gesagt, wir verstehen jetzt viel besser, wie Thioholgamide in der Natur hergestellt werden. Mit diesem Wissen sind wir in einer viel besseren Position, um optimierte Verbindungen mit einer verbesserten Aktivität gegen Krebszellen zu entwickeln. Da ähnliche Enzyme auch in anderen RiPP-Synthesewegen zum Einsatz kommen, hoffen wir, dass unsere Arbeit dazu beitragen wird, die Biosynthese anderer Naturstoffe aufzuklären.

In eurem Artikel erwähnt ihr, dass eine Bis-N-Methylierung von Histidin stattfindet. Kannst du diesen Prozess näher erläutern und erklären warum er so besonders ist?
Ja, diese Modifikation wird von einer Methyltransferase durchgeführt, die in dem biosynthetischen Gencluster kodiert wird. Interessanterweise wurde diese Modifikation, die eine permanente positive Ladung in die Verbindung einführt, bisher für kein anderes Naturprodukt beschrieben. Elektrostatische Wechselwirkungen können für die Interaktion eines Naturprodukts mit seinem Zielprotein von entscheidender Bedeutung sein, aber es bleibt abzuwarten, ob dies auch bei Thioholgamiden der Fall ist. Wir arbeiten derzeit daran, mehr darüber herauszufinden, welche Bedeutung die Methylierung für die Bioaktivität von Thioholgamiden hat.

Ist es euch bereits gelungen, neue Verbindungen mit verbesserten Eigenschaften herzustellen?
Das HIPS arbeitet zusammen mit Prof. Andriy Luzhetskyy von der Universität des Saarlandes aktiv an diesem Thema. Ich gehe davon aus, dass wir bald die ersten verbesserten Thioholgamide sehen werden.

Dr. Alwin Hartman und Dr. Yannic Nonnenmacher führten das Interview.

Originalpublication

Sikandar, A., Lopatniuk, M., Luzhetskyy, A., Müller, R., Koehnke, J., Total In Vitro Biosynthesis of the Thioamitide Thioholgamide and Investigation of the Pathway. Journal of the American Chemical Society (2022). DOI: 10.1021/jacs.2c00402.


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